Ärger über virtuelle Büros am Isarhochufer

Münchner Merkur – Süd vom 27.01.2022, Seite 35

 

Grünwald – Die Berichterstattung über Briefkastenfirmen in Grünwald in den vergangenen Wochen in der Presse schlägt hohe Wellen. Sie sollen in Grünwald den günstigen Hebesatz abgreifen, obwohl sie hier nicht ihren realen Sitz haben. Diese mögliche Praxis des Steuersparmodells stieß jetzt im Gemeinderat auf Unwillen.

Susanne Kruse (Grüne) wollte wissen, ob bei einer Anmeldung im Ordnungsamt auch geprüft werde, ob das entsprechende Unternehmen eine Betriebsstätte in Grünwald besitzt oder nur ein virtuelles Büro. Der Sinn einer Gewerbesteuer liege ja darin, dass Geld von Betrieben fließt, die von der Infrastruktur am Ort profitieren. Susanne Kruse hat ein schlechtes Gefühl dabei, „wenn wir von Steuergeldern leben, die uns eigentlich gar nicht zustehen“.

Der Gemeinde selbst sind hier jedoch die Hände gebunden. Fabienne Unterreiner vom Ordnungsamt teilte mit, dass die Gemeindemitarbeiter bei einer Gewerbeanmeldung – egal welche Rechtsform, GmbH, Einzelunternehmen oder eine AG – nicht vor Ort prüft, ob auch ein Bürogebäude existiert.

Fragwürdiges Geschäftsmodell

Am Tag nach der Sitzung nahm Kämmerer Raimund Bader ausführlich zu Geschäftspraktiken mancher Firmen in Grünwald Stellung. Die Gemeinde begrüße es nicht, dass von ihnen offensiv mit dem günstigen Hebesatz geworben wird. Ihr Geschäftsmodell beruhe offenbar darauf. Bader: „Nach unserer Rechtsauffassung ist das aber zulässig und kann von uns als Gemeinde nicht beanstandet werden.“ Die rund 9000 Grünwalder Firmen müssen laut Bader gegenüber dem Finanzamt belegen, dass sie Personal vorhalten. Die Behörde sei für die Prüfung verantwortlich.

Dass alle Firmen, die in Grünwald ihren Sitz haben, vom günstigen Hebesatz profitieren, steht außer Frage. Das aber gelte für alle anderen Kommunen auch, die einen günstigeren Hebesatz als München haben. Die Firmen wiederum legen laut Bader Wert darauf, wo sie sich niederlassen: „Eine Firma, die in München ihren Sitz haben will, wechselt nicht nach Grünwald, nur wegen des günstigen Hebesatzes.“

Kämmerer Bader weist den Vorwurf vehement zurück, dass Grünwald eine Steueroase sei. Man halte sich hier selbstverständlich an Recht und Gesetz. Er wirft umgekehrt die Frage ein, ob nicht vielleicht der Hebesatz in München zu hoch angelegt sei? Er habe von Rekordeinnahmen bei der Gewerbesteuer im vergangenen Jahr von 3,357 Milliarden Euro gelesen – nach dem pandemiebedingten Einbruch 2020 ein Allzeit-Rekord in München.

Hebesatzrecht im Grundgesetz verankert

Dass nun die 27 Landkreisgemeinden und zwei Städte ihren Hebesatz – wie vom Wirtschaftsreferenten der Stadt München vorgeschlagen – an die Stadt München anpassen sollen: „Wie verträgt sich das mit dem Artikel 106 Absatz 6 Grundgesetz, in dem den Gemeinden ihr eigenes Hebesatzrecht verfassungsrechtlich verankert wurde?“

Kämmerer Bader hat die Gemeindepolitik im Hinblick auf das Gewerbe immer so verstanden, dass die Kommune sich darum bemühe, steuerstarke Firmen anzuziehen. Seit fast 20 Jahren liege der Hebesatz in Grünwald unverändert bei 240, zuvor über 20 Jahre bei bei 270. Er sei 2003 gesenkt worden, weil die Gemeinde eine niedrigere Gewerbesteuerumlage an die Firmen habe weitergeben wollen.

Ingrid Reinhart-Maier (Grüne) resümierte: „Man muss hier schon auf einem Auge blind sein, wenn man nicht sieht, dass es ein Geschäftsmodell virtueller Firmen in Grünwald gibt.“ Sie selbst hat mit einem Grünwalder gesprochen, der es für sich entdeckt hat. Er habe ihr drei Häuser gezeigt, die er bauen ließ. Jede Firma besitze darin wie im Schwimmbad einen Spind. „Das ist der Firmensitz. Unten sitzen Sekretärinnen, die Anrufe und Post für die einzelnen Firmen entgegennehmen.“ Aber von der Firma sei niemand im Haus. Die Gemeinde allerdings, da gibt sie der Verwaltung recht, könne überhaupt nichts dafür. Verantwortlich für diesen Missstand sei das Finanzamt. „Unser Ziel der Senkung des Hebesatzes war bestimmt nicht, einmal ein solches Gewerbesteuerparadies zu eröffnen.“

 

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