Architektur im Münchner Nobel-Vorort: Viel Scheußliches, wenig Schönes

Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 16.02.2023

In Grünwald könnte eine Villa von Sep Ruf abgerissen werden – einem bedeutenden Architekten der Moderne. Nicht ganz untypisch für den Münchner Nobel-Vorort. Im Rest der Welt wird dessen Werk dagegen gefeiert.

Von Gerhard Matzig

Die Steueroase Grünwald ist, wie man dank der bizarren Andrea-Tandler-Maskenaffäre weiß, nicht nur ein Paradies für Briefkastenfirmen, sondern auch ein Dorado für Sicherheitsfirmen. Eine davon heißt Bavaria Alarm. Vor dem Firmensitz an der Südlichen Münchner Straße, wo Alarmanlagen gehandelt werden für ein Terrain, auf dem Tresore zum bevorzugten Interior-Design gehören, bewacht eine grimmig aussehende Kampfhund-Skulptur die Umgebung. Ein bulliges Fletschen als Firmenlogo freundlicher Nachbarschaft: wie zeichenhaft.

Ob die Mischung aus Dobermann und Drohgebärde aber die Abrissbagger abhalten würde, ist zu bezweifeln. Aktuell nehmen die Bagger ein bedeutsames Ensemble direkt gegenüber an der Hugo-Junkers-Straße 1 ins Visier. Die Sicherheitsfirma ist leider nicht für die gerade in der Grünwalder Betongold-Region besonders gefährdete Architekturgeschichte zuständig. Alarm ist dennoch oder eben deshalb geboten.

Das Haus, das jetzt vom Abriss bedroht ist, um einer renditeträchtigeren Verwertungsarchitektur der Banalität Platz zu machen, gehört zu einem von Sep Ruf entworfenen Ensemble von insgesamt zehn typengleichen Wohnhäusern, die die Hugo-Junkers-Straße in Richtung Isartal flankieren. Die ehemalige Siedlung der Junkers-Werke aus den Dreißigerjahren steht unter Denkmalschutz – bis auf genau ein Haus. Der goldfarbige Dobermann (oder was auch immer die Grrrrr-Plastik kynologisch darstellen soll) steht stumm daneben. Der drohende Privat-Abriss, dem eine verantwortungsbewusste Baupolitik im Sinne der Allgemeinheit Widerstand leisten sollte, wäre ein Frevel. Immerhin hat die Gemeinde in letzter Sekunde entschieden, die Sache noch einmal zu prüfen.

Wer die jüngere Baugeschichte von Grünwald kennt, der ahnt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen sehr viel Geld und sehr wenig Ästhetik gibt. Was in Grünwald zuletzt gebaut wurde, auch im Umfeld der Junkers-Straße, grenzt oft an Realsatire. Die “Villen”, die hier errichtet wurden in den letzten Jahren, sind mitunter eher barbarische Geschmacklosigkeiten in Schaumgebäck-Form als Beiträge zur Baukultur. Für die Bürobauten gilt das in ähnlicher Weise: viel Ignoranz, wenig Substanz – viel Scheußliches, wenig Schönes.

Herausragende Baukunst, es gibt sie, ist selten zu sehen. Grünwald ist nicht nur reich an Angeber-Architektur, sondern auch arm an echter Architektur. Ersteres dient dem Ego, Letzteres dem öffentlichen Raum. Die Differenz dazwischen, denn die “Architektur ist die öffentlichste aller Künste” (Lebbeus Woods), ist genau das, was aus einem Geldspeicher eine lebenswerte Stadt macht.

Die Hugo-Junkers-Straße gehört zu den Ausnahmen. Was auch der harmonisch rhythmisierten, schlicht-eleganten Einheit der Ruf-Bauten zu verdanken ist. Wie einem Statement der Sep-Ruf-Gesellschaft zu entnehmen ist, wurde die Hugo-Junkers-Siedlung von 1934 an in nur zwei Jahren erbaut. Von ursprünglich 20 geplanten Wohnhäusern für die leitenden Mitarbeiter der Junkers-Werke, die in Allach Flugzeugmotoren für die Luftwaffe produzierten, was auch zeitgeschichtlich über die Architektur hinaus von Belang ist, konnten zehn typisierte Bauten realisiert werden. “Die zehn mal zehn Meter großen giebelständigen Wohnhäuser sind mit einer Mauer verbunden und reihen sich gestaffelt aneinander.”

“Dieses einzigartige Ensemble darf nicht zerstört werden”

Obschon während der NS-Herrschaft erbaut, also bereits dem sich herausbildenden Formenkanon einer germanisierend missverstanden Blut-und-Boden-Denkweise verpflichtet, atmen die Häuser in ihrer so funktionalen Organisation wie eleganten Schlichtheit jene widerständige Modernität, die nicht einmal die Nazis niederringen konnten. Dennoch, sagt Irene Meissner für die Sep-Ruf-Gesellschaft, “werden Bauten der frühen Moderne in Bayern immer wieder geopfert”. Und: “Dieses einzigartige Ensemble des bedeutendsten bayerischen Architekten der Moderne darf nicht zerstört werden.”

Das Haus bildet mit neun weiteren Einfamilienhäusern eine einheitliche Baugruppe. Warum ein einzelnes Haus 1998 per Gerichtsbeschluss aus der Denkmalliste entfernt wurde, sei “nicht nachvollziehbar”. Burkhard Körner – ebenfalls im Vorstand der Sep-Ruf-Gesellschaft, außerdem aber auch für das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege tätig – sagt: “Der Abriss wäre ein herber Verlust.” Körner ist “entsetzt”. In Zeiten, da allerorten Bausubstanz gesichert wird, schon aus energetischen, aber auch aus stadtbildprägenden und identifikatorischen Gründen, ist die Abriss-und-Neubau-Idee von einem grausamen Schildbürgerstreich nicht zu unterscheiden.

Man wundert sich, dass das Sep-Ruf-Erbe immer noch verteidigt werden muss. Es ist, als wirkte die Nazizeit nach. Sep Ruf, der ungewöhnlich viele Wohnbauten ersonnen hat und darin zeitlebens eine “soziale und grundsätzliche Aufgabe” sah, hatte es in der Nazi-Vorgestrigkeit schwer mit seinem in die Zukunft weisenden Bauen, das zugleich von menschenfreundlicher und ziviler Art war.

Der Miterfinder des nach dem Krieg reanimierten Neuen Bauens, dem in Bonn etwa auch der berühmt gewordene Kanzler-Bungalow zu verdanken ist als Botschaft von einem anderen, besseren Deutschland, wurde auch nach dem Naziterror noch zum Opfer des Dumpfen. Konrad Adenauer, der die NSDAP einmal geschmeidig als “große Partei” bejubelt hat, meinte später unter dem Beifall der Springer-Medien, der Architekt des großartig lichten Kanzler-Bungalows habe dafür “zehn Jahre” Haft verdient.

Heute wird das Werk des gebürtigen Münchners Sep Ruf, der 1982 gestorben ist, in aller Welt gefeiert. Vielleicht mit Ausnahme von Grünwald. In München ist zum Beispiel die neue Maxburg als Justizgebäude und Verwaltungsbau bekannt. Ruf hat bis 1956 (zusammen mit Theo Papst) im Zentrum der Stadt nicht nur einen hocheleganten, ja mondänen und weltoffenen Bau verwirklicht – er hat auch bewiesen, wie vitalisierend sich die Moderne dem Stadtkörper als Herzschrittmacher implantieren lässt.

In München hat Sep Ruf auch das erste “Wohnhochhaus” an der Theresienstraße entworfen, den Royal-Filmpalast am Goetheplatz oder, in Bogenhausen, die Kirche St. Johann von Capistran. Der Katalog seiner nie auftrumpfend formulierten, dennoch oft visionären, immer respektvollen Bauten ist umfänglich.

Ruf war produktiv als Gestalter eines demokratischen Deutschland, das sich der Welt nach dem Terror nicht nur modern in seinen Bauten, sondern auch humanistisch rehabilitiert in seinem Wesen präsentierte. Grünwald muss sich fragen, ob es außer Briefkastenfirmen, Schaumgebäck-Architektur und plakativen Grrrrr-Gesten noch zivilere Werte beheimaten will.

 

 

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